„Die Menschen sind pessimistischer, als sie sein müssten“

Bereits zum zweiten Mal evaluierte die Industrie gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut IFES und der Uni Wien im groß angelegten Zukunftsmonitor die Stimmung im Land. Ein gerade im Corona-Jahr wahrlich spannendes Unterfangen!

Soeben ist der zweite „Zukunftsmonitor“ erschienen. In insgesamt fünf Kernthemen gibt er Auskunft über die gesellschaftliche Welt, in der wir gerade leben: gesellschaftlicher Zusammenhalt, Lebensqualität, Innovationsfähigkeit, Politik und globale Entwicklungen. Und die einzelnen Aussagen haben heuer besondere Brisanz: Schließlich liefen die insgesamt 1.200 Interviews genau während des Beginns der zweiten Corona-Welle im Herbst 2020. Die damals vorherrschende Corona-Stimmung wurde also voll erfasst. Das rückt die Aussagen des Zukunftsmonitors naturgemäß in ein besonderes Licht, wie auch Studienautor Reinhard Raml von IFES betont. Gleichzeitig müsse man das Ergebnis aber auch weiterdenken, schließlich hat sich seither die Situation im Land weiter verändert. Unter diesem besonderen Aspekt hat er die nun veröffentlichten Daten für Fakt & Faktor exklusiv interpretiert und weitergedacht.

GUT ZU WISSEN:

Woher weiß man, wie es den Menschen wirklich geht? Eben diese Frage wollte die heimische Industrie nicht mehr mit einem bloßen Schulterzucken beantwortet wissen. Also suchte die Industriellenvereinigung gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut IFES und der Uni Wien einen Weg, wissenschaftlich fundierte Aussagen über die Stimmung in unserer Gesellschaft treffen zu können.

Unter der Leitung von Dr. Melanie Eckl-Kerber, stv. Bereichsleiterin Bildung & Gesellschaft  in der Industriellenvereinigung, wurde daher ein aufwendiger Fragenkatalog erstellt, der 2019 erstmals unter dem Begriff „Zukunftsmonitor“ abgefragt wurde.

Eckl-Kerber: „Das Besondere daran ist, dass wir damit nicht nur ein Stimmungsbarometer erstellen, sondern gezielt einen Blick in die Zukunft der Entwicklungen in unserer Gesellschaft werfen können. Das macht sonst niemand.“ Und Generalsekretär Christoph Neumayer ergänzt: „Allgemeine Trends, Wahrnehmungen zu bestimmten Themen und ganz allgemein den Zustand der Gesellschaft messbar zu machen, ist ein wichtiger Schritt zu einem besseren Verständnis für deren Entwicklung.“

Eine Grundaussage der Studie lautet: Den in Österreich lebenden Menschen sind Familie, Freizeit, FreundInnen und Freiheit besonders wichtig. Gerade in Corona-Zeiten kann der Großteil auf ein funktionierendes soziales Netz zurückgreifen, was das Vertrauen in die Mitmenschen in der Krise gestärkt hat. Demnach scheint unsere Gesellschaft gegen die durch Corona ausgelösten Verwerfungen durchaus resilient, also gut gerüstet.

Aber: Hat sich diese Art der Resilienz innerhalb der Bevölkerung seit Veröffentlichung des Zukunftsmonitors nicht womöglich verändert? 

Reinhard Raml: Wir haben bei IFES in Summe sehr viel zu Corona geforscht und dabei mehrere Phasen beobachtet: Zu Beginn der Pandemie waren die Menschen tatsächlich viel resilienter. Das heißt, in den ersten Monaten war der Optimismus ungebrochen. Die Leute haben geglaubt, das wird alles relativ rasch vorbeigehen. Also hat man die Einschränkungen kurzerhand in Kauf genommen. Doch dann hat der Bevölkerung gedämmert, dass die Sache wesentlich länger dauern wird als gedacht. Auch sind die wirtschaftlichen Verwerfungen größer und größer geworden. Da hat der Optimismus zu bröckeln begonnen. Genau in diese Phase fällt der Zukunftsmonitor hinein. Er bescheinigt also unserer Gesellschaft schon einen starken Zusammenhalt, spiegelt aber nicht mehr ganz das wider, was wir heute erleben.

Wie ist die aktuelle Situation aufgrund Ihrer zusätzlichen Erfahrungen und Daten zu verstehen?

Reinhard Raml: Aktuell sieht man ein bisschen so eine Phase, in der die Leute pessimistischer sind, als sie jetzt zu diesem Zeitpunkt sein müssten. Jetzt glauben viele, dass der Spuk überhaupt nicht mehr so bald vorbeigehen wird. Fast alle glauben, das Ganze dauert noch viel länger. Gleichzeitig gibt es durch die Impfungen zwar eine Art kurzfristigen Zukuftsoptimismus, dass man im Sommer wahrscheinlich wieder reisen wird können, glauben die meisten Leute aber dennoch nicht. Derzeit sind viele also eigentlich zu pessimistisch.

Ist das womöglich Selbstschutz der Leute? Nach dem Motto: Lieber die Erwartungen runterschrauben, um später nicht so sehr enttäuscht, aber vielleicht sogar positiv überrascht zu werden?

Reinhard Raml: Das hat sicher eben diese psychologische Komponente. Eine andere aber kommt hinzu – eine kommunikative. Man weiß einfach nicht mehr, woran man glauben soll. Es gibt keinen Plan, der länger hält. Vielmehr wird jeder Plan ständig adaptiert. Diese Ungewissheit befeuert den Pessimismus zusätzlich.

Die derzeitige Krise zieht viele gesellschaftliche Folgen nach sich. Weiß auch Studienautor Reinhard Raml: „Die Krise wirkt im Grunde wie ein Brennglas auf die Gesellschaft in dieser Zeit.“

Berufsgruppen unter der Lupe

Ebenfalls im Fokus des Zukunftsmonitors standen die einzelnen Berufsgruppen in unserem Land. Und dabei schnitten die Unternehmerinnen und Unternehmer des Landes besonders gut ab, wie IV-Generalsekretär Christoph Neumayer erklärt: „Der Rückhalt und das Vertrauen für Österreichs Unternehmen sind groß. Die Einschätzung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen im Land kann da aber nicht mithalten. Nur rund ein Drittel der Menschen geht von einem günstigen Klima für unternehmerische Tätigkeit aus. Gar nur jeder Vierte würde selbst Unternehmer sein wollen.“

Als wichtigste Ursache für diese Unsicherheit nennt Neumayer die hierzulande nach wie vor massiven Steuer- und Abgabenbelastung. Jedenfalls aber würden Unternehmen und deren wirtschaftlicher Erfolg als tragende Säulen der Gesellschaft gesehen und geschätzt. „Umso mehr täten wir gut daran, die vorliegenden Ergebnisse als Ansporn und Auftrag zu verstehen, die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese Stabilität auch in Zukunft gegeben ist. Jede neue Bundesregierung wird dabei gefordert sein“, so der IV-Generalsekretär.

Was uns aber überrascht hat, war, dass die Unzufriedenheit über die schlechtere finanzielle Situation im Verhältnis weniger groß wurde.

Studienautor Reinhard Raml

Was aber abseits des hohen Standings der UnternehmerInnen im Land auch ersichtlich wird, ist die immer geringer werdende Reputation von PolitikerInnen. Eine Tatsache, die gerade in Krisenzeiten eher bedenklich ist. Schließlich sind das zwei Berufsgruppen, die in einer Zeit wieder dieser besonders gefordert sind.

Warum schlagen Politikerinnen und Politiker in Österreich derzeit gar so viele Zweifel entgegen?

Reinhard Raml: Gerade in Hinblick auf die Politik müssen wir bei den Ergebnissen des Zukunftsmonitors die generelle Situation berücksichtigen. Schließlich ist dem Corona-Jahr das Jahr des Ibiza-Skandals vorangegangen. Und wenn man in die Zukunft schaut, sieht das mit der Ehrlichkeit in der Politik in der Wahrnehmung nicht sonderlich rosig aus. Es ist also für die Politik derzeit sicherlich eine schwierige Situation. Doch das ist im Grunde anhand der offensichtlichen Probleme weniger überraschend als andere Aspekte, die der Zukunftsmonitor zutage gefördert hat.

Welche Erkenntnisse aus dem Zukunftsmonitor haben Sie besonders überrascht?

Reinhard Raml: Wir haben sehr stark gesehen, dass die Grundlage für ein „sehr gutes Leben“ fehlt. Die Menschen waren mit ihrer Wohnsituation etwa sehr unzufrieden. Das Homeoffice und das viele Zuhausebleiben wurde durch das Zusammenleben mit vielen Familienmitgliedern in kleineren Wohnräumen offenbar als besonders belastend wahrgenommen. Was uns dabei aber überrascht hat, war, dass die Unzufriedenheit über die schlechtere finanzielle Situation im Verhältnis weniger groß wurde. Das ist für mich generell ein überraschender Moment in der Krise. Obwohl viele den Gürtel enger schnallen müssen, leidet die allgemeine Zufriedenheit darunter nicht so stark, wie ich es erwartet hätte.

Und warum ist das so?

Reinhard Raml: Dazu haben wir verschiedenste Erklärungsansätze. Erstens: Menschen, die weniger große Einbußen in Kauf nehmen mussten, wurden zufriedener. Weil sie gesehen haben, dass sie im Vergleich zu anderen in ihrem Umfeld eigentlich ganz gut durch die Zeit kommen. Zweitens: Die Menschen haben herausgefunden, dass sie nicht so viel Geld ausgeben konnten.

Was man wahrhaben muss, ist, dass die Krise garantiert Ungleichheiten verstärkt hat.

Man kann nicht essen gehen, keine Ausflüge machen, man kann nicht auf Urlaub fahren. Das heißt, die Leute haben einfach ihre Ausgaben dementsprechend runtergeschraubt. Uns hat also verblüfft, dass die finanzielle Situation schlechter gesehen wird, aber nicht als so gravierend wahrgenommen wird wie etwa die Wohnverhältnisse.

Abgesehen von dem, was ist: Was wird sein? Welche Prognosen können Sie aus dem Zukunftsmonitor ableiten?

Reinhard Raml: Was man wahrhaben muss, ist, dass die Krise garantiert Ungleichheiten verstärkt hat. Also jenen, denen es vorher schon nicht gut gegangen ist, geht es jetzt schlechter. Und die, die früher schon gut über die Runden gekommen sind, die kommen jetzt weiterhin auch gut durch. Neben der gesundheitlichen Krise leben wir zusätzlich sehr stark in einer sozialen Krise. Wir dürfen nie aus den Augen verlieren, dass es auch in einem reichen Land wie Österreich unterschiedliche Betroffenheiten gibt!

Gerade auch, was das Thema Frauen betrifft. Auch das lässt sich aus den erfassten Daten ablesen …

Reinhard Raml: Ja. Wie wir es schon in der Forschung gesehen haben, sind gerade Frauen im Homeoffice mit Kindern extrem belastet. Sie sind es, die relativ schnell unter der Gesamtsituation gelitten haben. Das ist schon eine enorme Last, die von Frauen geschultert wurde! Gleichzeitig aber – und das finden wir besonders alarmierend – ist der Zukunftsoptimismus im Bereich der Gleichberechtigung am stärksten zurückgegangen. Wir sehen als Fazit, dass wir in manchen Dingen als Gesellschaft wohl noch nicht so weit sind, wie wir gerne wären. Man sieht halt jetzt auch, dass eben die Jobs, die weniger gut bezahlt sind, stärker von Frauen ausgeübt werden. Und die haben zusätzlich jetzt auch in der Krise vorne stehen müssen. Die Krise wirkt im Grunde wie ein Brennglas auf die Gesellschaft in dieser Zeit.

FAZIT:

Auch wenn die Krise unsere Gesellschaft hart getroffen hat, lässt sie sich nicht unterkriegen. Und während finanzielle Aspekte in den Hintergrund rücken, sind soziale Komponenten wichtiger als je zuvor. Außerdem gelten UnternehmerInnen als besonders relevant. PolitikerInnen jedoch werden skeptischer denn je beäugt.

DER EXPERTE:

Dr. Reinhard Raml studierte Psychologie, Mathematik und medizinische Wissenschaft (Schwerpunkt: Sozialmedizin) und ist seit 2002 im IFES tätig. Seit 2012 als Prokurist Mitglied der Geschäftsleitung, seit März 2015 als Geschäftsführer.

Seine Forschungsschwerpunkte im IFES: Kundenzufriedenheit, Arbeitsweltforschung, Medienforschung, Sicherheitsforschung, komplexe statistische Analysen und Modelle.

Daneben unterrichtet Dr. Raml Statistik als Lektor an der Universität Wien (Institut für Soziologie).

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