Leistung Arbeiter
Porträt2 (4)

Zusatzgewichte für Leistungsträger:innen

Kommentar: Österreich leistet sich Rahmenbedingungen, die eine attraktive Be- und Entlohnung von Einsatzbereitschaft verunmöglichen. Wie lange kann das noch gut gehen?

Wer angesichts der Krise und Verteuerungen höhere Sozialleistungen für Arbeitslose fordert, braucht wenig Widerspruch zu fürchten. Wer angesichts der Krise und Verteuerungen attraktivere Rahmenbedingungen für Mehrarbeit verlangt, erntet dagegen im besten Fall Überraschung, vielleicht auch Kopfschütteln, sicher aber wenig Drang zur Umsetzung. Wer länger „hackeln“ will, als Pensions-, Steuer- und Sozialsystem es vorsehen, ist selbst schuld. Auszahlen tut es sich nämlich nicht. Mehr Stunden am Arbeitsplatz bedeuten nicht zwingend mehr Geld am Konto. Oder zumindest nicht in einem Ausmaß, das man als lohnend, gerecht und motivierend verstehen könnte. 

Für einen Wirtschaftsstandort, der weniger durch Rohstoffreichtum als durch Know-how und Einsatzbereitschaft im internationalen Wettbewerb reüssieren muss, sind die aktuellen Rahmenbedingungen existenzgefährdend.

Tatsächlich zählt Österreich international zu den Hochsteuerländern. Nur in drei Industrieländern (Belgien, Deutschland, Italien) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind die Abzüge durch Steuern, Sozialversicherung und sonstige Abgaben höher und damit die Nettolöhne in Relation zu den Arbeitskosten niedriger als in Österreich.

Hungriger Staat

Das Klagen darüber ist nicht neu, aber deshalb noch lange kein Anzeichen von überzogener und pragmatisierter Wehleidigkeit. Denn gerade für einen Wirtschaftsstandort, der weniger durch Rohstoffreichtum als durch Know-how und Einsatzbereitschaft seiner Arbeitskräfte im internationalen Wettbewerb reüssieren kann und muss, sind Rahmenbedingungen wie die aktuellen existenzgefährdend.

Leistung lohnt sich in Österreich nämlich nicht wirklich. Zumindest dann nicht, wenn man Vollzeit statt Teilzeit, über das Regelpensionsalter hinaus oder länger als die kollektivvertraglich geregelte Stundenzahl arbeiten möchte. Immer dann, wenn es über die Norm geht, hält der Staat die Hand auf. Motivation geht anders. Wie? Wenn – wie aktuell – in vielen Branchen und Qualifikationsstufen händeringend Mitarbeiter:innen gesucht werden, wäre es beispielsweise naheliegend, auf bestehendes Potenzial zurückzugreifen.

540.000 Arbeitskräfte fehlen

Mehr Junge wird man aber schwer schnell finden. Es gibt sie schon jetzt nicht und es werden kurzfristig auch nicht mehr. Mehr Alte zum weiteren Verbleib im Berufsleben zu motivieren, wäre dagegen relativ naheliegend, weil sie schon beziehungsweise noch da sind. Und es werden mittelfristig auch immer mehr. Die Waggons mit Pensionist:innen im demografischen Zug unserer Gesellschaft, der Richtung Zukunft fährt, sind gut bis überfüllt. Ein Um- beziehungsweise Wiedereinsteigen in die Erwerbstätigenabteile zahlt sich nicht aus, da die Zuerwerbsgrenzen und Besteuerungspflichten in der Pension das mögliche Einsatzgebiet auf Mini-Jobs reduzieren.

Jährlich steigen so bis zu 60.000 Menschen aus der Erwerbstätigkeit aus und in die Pensionswaggons ein. Auch wenn dieser Run Richtung Ruhestand langfristig nachlassen wird, werden so in den nächsten zehn bis zwölf Jahren mehr als 540.000 Arbeitskräfte fehlen. Das hat (auch) damit zu tun, dass die Lebenserwartung in Österreich in den letzten 50 Jahren deutlich gestiegen, das faktische Pensionsalter seit den 1970er-Jahren aber gleichgeblieben ist.

Das Pensionssystem kollabiert

Ein 60-Jähriger hatte statistisch gesehen 1970 noch 14,9 Jahre zu leben, heute sind es über 22 Jahre. Bei Frauen stieg dieser Wert von 18,8 auf knapp über 26 Jahre. Lag die Lebenserwartung für 1970 geborene Männer zum Zeitpunkt ihrer Geburt bei 66,5 Jahren, liegt sie heute bei 79,3 Jahren; bei Frauen stieg sie von 73,4 auf 84 Jahre. Die Überalterung hat teure Folgen für unser Sozialsystem. Das Umlageverfahren kollabiert, der Generationenvertrag hält nicht mehr. Maßnahmen, dieses Fiasko zu mildern, fehlen aber. Oder werden auf die lange Bank geschoben. Und das, obwohl Anreizmodelle für Pensionist:innen, länger zu arbeiten, sich über weite Strecken selbst finanzieren würden, weil damit auch das Steueraufkommen steigt und so Geld ins Staatssäckel fließt.

Immer dann, wenn es über die Norm geht, hält der Staat die Hand auf. Motivation geht anders.

Ähnlich „unsexy“ bleibt es, sein Arbeitspensum von Teilzeit auf Vollzeit hochzuschrauben. Wer derzeit von 30 auf 40 Wochenstunden aufstockt und dafür brutto 1.000 Euro mehr bekommt, dem bleiben davon nur 480 Euro netto. Auch hier gilt: Motivation geht anders. Das hat nichts mit einem Ausnützen der sozialen Hängematte zu tun, sondern mit verstaubten Rahmenbedingungen. So arbeitet aktuell fast ein Drittel der Erwerbstätigen in Teilzeitmodellen. Parallel bleibt es auch wenig attraktiv, Überstunden zu machen. Vollzeit-, Mehr- und Nachtarbeit lohnen sich nicht. Wie für ältere Arbeitnehmer:innen wären steuerliche Anreize ein Gebot der Stunde.

Keine Entspannung in Sicht

Die Hoffnung, dass sich die Lage mit der drohenden Rezession von selbst regelt, es also zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommt, sei naiv, warnen Unternehmer:innen. Die demografische Lücke ist einfach schon zu groß. Die Vorbehalte gegen eine gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wirken zudem wettbewerbsschädigend. 

Was es stattdessen dringend bräuchte, sind aktualisierte Rahmenbedingungen und ambitionierte Anreize zur Hebung vorhandener Leistungspotenziale. Damit sich Engagement und Einsatzbereitschaft lohnen.

Credits Artikelbild: adobe stock | auremar

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