Sabine Herlitschka, CEO von Infineon Österreich, über Folgen und Lehren aus der Corona-Krise, Stärken und Schwächen des Standorts und den Reiz technischer Berufe als „Zukunftsgestalter“.

Es gleicht einer eigenen Stadt: eigene Zufahrtsstraßen, eigene Bushaltestellen, eigene Parkplatzflächen, eigene Zugangsschleusen. An der Peripherie von Villach ist das Firmengelände von Infineon Österreich zuletzt massiv angewachsen. Um 1,6 Milliarden Euro wurde die modernste High-Tech-Chipfabrik Europas gebaut – und kürzlich nach nur dreijähriger Bauzeit eröffnet. „Genau zum richtigen Zeitpunkt“, ist Sabine Herlitschka zufrieden und verweist auf die weltweite virulente Chip-Krise, die aktuell den wirtschaftlichen Aufschwung vielerorts empfindlich bremst.

Herlitschka ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende von Infineon Technologies Austria, der Österreich-Tochter des Halbleiterproduzenten und Systemlösungsanbieters Infineon Technologies AG, der mit weltweit rund 46.700 MitarbeiterInnen zu den Top 10 der Branche gehört.

Herlitschka im Fakt&Faktor-Exklusivinterview

Digitalisierung, Gründungen, Fachkräfte: „Da muss uns mehr gelingen.“

In Villach sind neben der Produktion von Komponenten für die Leistungselektronik, unter anderem auf 300-Millimeter-Dünnwafern, die Kompetenzen für Forschung & Entwicklung gebündelt. Die Fabrik zählt zu einer der weltweit modernsten. An der dem Stadtzentrum zugewandten Seite, mit Blick auf die Hausberg Villachs und schmucke Einfamilienhäuser in der Nachbarschaft, liegt das Büro Herlitschkas. Im Foyer wird gerade an einer kleinen interaktiven Leistungsschau gearbeitet. „Bei uns ist immer was los“, lächelt Herlitschka den Baulärm weg, der bis in die Besprechungsräume im dritten Stock hörbar ist, bevor sie die Fakt & Faktor-Fragen beantwortet.  

Haben Sie damit gerechnet, dass sich die österreichische Wirtschaft so schnell von der Krise erholt?

Sabine Herlitschka: Es ist gut zu sehen, dass gesetzte Maßnahmen so aufgegangen sind. Da hat die österreichische Regierung schon auch vieles richtig gemacht und hat die Vorschläge gut aufgegriffen – Beispiel: Investitionsprämie. Das Volumen ist atemberaubend, das damit an Investitionen losgetreten worden ist und das zeigt schon, wie erfolgreiche Standortpolitik ausschauen kann. Nämlich gerade in der Krise und mit dem Schwerpunkt auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit, ist das auch ein richtiger Schritt gewesen.

Die Bundesregierung hat sich auf eine ökosoziale Steuerreform geeinigt. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Man hat einen guten Konsens erreicht. Was aber ganz klar ist und auch sein muss: Wir müssen in Richtung mehr Nachhaltigkeit steuern. Da ist es die Kunst, den Mix so zu wählen, dass es auf der einen Seite in Richtung mehr Nachhaltigkeit geht und auf der anderen Seite den Standort nicht schädigt, sondern im Optimalfall stärkt. Dieser Konsens ist – als erster Schritt – gut gelungen. Natürlich hätte sich wahrscheinlich jede Seite noch mehr gewünscht, aber es öffnet schon jetzt einen Weg in eine neue Richtung. Aber natürlich: Ein Weg – ein langer Weg – ist nicht mit den ersten Schritten getan, sondern da braucht es jetzt weitere Schritte

„Digitalisierung ist ein Ermöglicher“

Sie sitzen im Rat für Forschung und Technologieentwicklung. Was ist dessen Aufgabe?

Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung berät die österreichische Bundesregierung in allen Themen, die mit Forschung und Technologie zu tun haben. Unter anderem hat der Rat die Aufgabe, das Monitoring über die Leistungsfähigkeit des österreichischen Forschungs- und Innovationssystems zu erstellen. Wir tun das seit 2012 anhand von standardisierten Indikatoren. Und deshalb ist es auch besonders wichtig und interessant, die Entwicklung Österreichs über die Zeit aufzuzeigen.

Und? Wie steht Österreich im Bereich Forschung und Technologieentwicklung da?

Im FTI-System – in Summe auf Unternehmensseite – ist die Performance sehr gut. Wo wir auch gut sind, sind die Ressourcen, die insgesamt für das System zu Verfügung gestellt werden. Wo wir weniger gut sind, sind besonders drei Bereiche: in der Digitalisierung – und hier vor allem die Infrastruktur bei der Digitalisierung, also Stichwort Breitbandausbau. Das zweite sind Unternehmensgründungen – also vor allem die Start-ups und Spin-offs. Und das dritte ist der Fachkräftemangel. Alle drei sind eigentlich Themen, die wir seit Langem kennen. Deshalb ist es unbefriedigend. Da muss uns mehr gelingen.

War Corona in Sachen Digitalisierung ein Beschleuniger oder eher ein Bremspedal?

Corona war ein Beschleuniger für das eigene Bewusstsein und Wahrnehmen, wie wichtig der Rahmen der Digitalisierung ist.

Warum?

Wir sind damals, Anfang des Jahres 2020, in vielen Bereichen fast von einem Tag auf den anderen in die Online-Formate übergestiegen. Jetzt kann man über Homeschooling, Homeoffice alles Mögliche sagen. Aber die Tatsache, dass wir ein digitales Rahmenwerk hatten, hat dazu beigetragen, dass wir überhaupt einigermaßen vernünftig weiter tun konnten in einer globalen Pandemie. Gleichzeitig geht die Reise natürlich weiter. Deshalb legen wir da ganz bewusst den Finger drauf, weil Digitalisierung hier ein ganz wesentlicher Ermöglicher ist, um in der Nachhaltigkeit, in der Bildung, bei den Fachkräften und in vielen anderen Bereichen weiterzukommen.

„Nicht zuschauen, wie Kompetenzen verkauft werden“

Um nicht von internationalen Lieferketten abhängig zu sein, wird gefordert, dass Europa eine Energie- und Rohstoffsouveränität aufbauen soll. Wie realistisch ist das in einer globalisierten Wirtschaft?

Wir brauchen beides. Wir müssen es schaffen, einerseits in wesentlichen Schlüsselkompetenzen mehr Souveränität hinzubekommen, andererseits aber auch die Globalisierung, den globalen Handel weiter aufrecht zu erhalten. Aber aus einer Position der Stärke und nicht aus einer Abhängigkeit heraus. Das heißt, für Österreich, aber auch Europa, ist es wichtig, sehr klar zu wissen, wo die strategisch-relevanten Technologiekompetenzen sind, wo wir selbst über wesentliches Know-how verfügen müssen. Wo wir zum Beispiel nicht unreflektiert zuschauen dürfen, dass diese Kompetenzen verkauft werden. Gleichzeitig muss einem aber bewusst sein, dass globaler Handel Wohlstand für viele Leute gebracht hat. Auch da ist es die Kunst, nicht in Schwarz-Weiß zu denken.

Was muss Europa tun, um im globalen Wettbewerb zu bestehen?

Alles nur zu regionalisieren, ist keine Antwort. Das werden wir uns nicht leisten können. Das wäre zu teuer. Und es ermöglicht auch nicht den Fortschritt, den wir brauchen. Aber wir brauchen genau beides: In kritischen Kompetenzen müssen wir das Know-how in Europa haben, und gleichzeitig aus einer Position der Stärke auch an der Globalisierung weiterarbeiten.

Funktioniert in Österreich der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft?

Es gibt viele Formate, wo die Kooperation Wissenschaft und Wirtschaft stattfindet und in vielen Bereichen sehr gut funktioniert. Wir brauchen da eine Art Ökosystem, das aus den Wissenspartnern, also den Universitäten, den Fachhochschulen, den Forschungsorganisationen, aus großen, aber auch kleinen Unternehmen besteht. Ich würde mir diesbezüglich wünschen, dass wir die Grenze noch mehr verschwimmen lassen. Dass Professorinnen und Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem einen System eine Zeit lang in das andere wechseln und dann wieder zurück. Der beste Wissenstransfer funktioniert über Menschen. Da sind wir noch nicht agil genug. Da läuft viel, und es muss noch viel mehr laufen.

„Daran arbeiten, dass morgen besser ist als heute“

Warum ist es so schwer, gerade junge Frauen für Technik zu begeistern?

Wir haben einfach ein sehr traditionelles Rollenverständnis, gerade auch in Österreich, wie auch in Deutschland. Da ist eben noch immer das Bild „Technikerin“ nicht dasjenige, wo man sagt: Ja, das will ich sofort. Das klassische Bild für eine Frau ist das nicht.

Warum sollte man als Jugendlicher eine technische Ausbildung machen?

Jede und jeder, der sich heute für Naturwissenschaften und Technik interessiert und eine Ausbildung in diese Richtung wählt, ist eigentlich eine Zukunftsgestalterin und Zukunftsgestalter und kann ganz konkret daran arbeiten, dass morgen ein kleines bisschen besser sein kann als heute. Das ist spannend, fordernd und macht Spaß.

Dieses Morgen stößt in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer an Grenzen. Ist Österreich diesbezüglich ein Entwicklungsland?

Viele Unternehmen setzen da konkrete Maßnahmen, das tun auch wir bei Infineon seit Jahren. Man weiß, Kinderbetreuung ist ein ganz essenzielles Element, damit Vereinbarkeit funktionieren kann. Das heißt vor allem, adäquate Kindergärten als Ausbildungseinrichtung, nicht als „Aufbewahrung“ zu verstehen. Kindergärten sind die ersten Bildungseinrichtungen. Und sie müssen einfach ganztägig und ganzjährig geöffnet sein. Wann dann, wenn nicht jetzt – während und nach der Corona-Pandemie – muss man das noch einmal ganz deutlich ansprechen und vorantreiben.

GUT ZU WISSEN

  • Der Hauptsitz von Infineon Austria befindet sich in Villach; weitere Niederlassungen gibt es in Graz, Klagenfurt, Linz und Wien.
  • Mit 4.517 Beschäftigten (davon 1960 in Forschung & Entwicklung) aus 70 Nationen erzielte das Unternehmen im Geschäftsjahr 2020 einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro.
  • Mit einem Forschungsaufwand von 498 Millionen Euro ist Infineon Austria eines der forschungsstärksten Unternehmen Österreichs.
Credits Artikelbild: Infineon