Steuerstundungen

Bitte einzahlen! Was das Ende der Steuerstundungen wirklich bedeutet

Satte 6,5 Milliarden Euro hat die Finanz den heimischen Unternehmen seit Ausbruch der Pandemie gestundet. Ende Juni heißt es nun aber: Zurückzahlen! Experte Alfred Heiter mahnt: „Wir können nur hoffen, dass es zu keinem Dominoeffekt kommt.“

Stellen wir uns kurz eine kleine Familie vor. Sagen, wir, sie heißt Müller und ist – wie fast alle Familien – von der Pandemie wirtschaftlich betroffen. Sprich: Durch die Kurzarbeit verdienen Papa und Mama plötzlich um ein Stück weniger als zuvor. Und weil schon vor Corona allmonatlich nicht wirklich viel übriggeblieben ist, das gespart werden hätte können, wird die Finanzierung des Alltags eng. Glück im Unglück: Die Vermieter der Wohnung verzichten darauf, Miete einzufordern. Die Familie soll dann später einfach mehr Miete zahlen und so durch die angespannte Zeit kommen.

In einer durchaus vergleichbaren Situation stehen seit Beginn der Krise die Arbeitgeber der Familie Müller. Doch sie schulden nicht etwa ihren Vermietern Geld, sondern vielmehr dem Staat in Form von Steuerzahlungen. Auf diese Einnahmen hat die Republik aus Rücksicht auf die angespannte wirtschaftliche Lage der Unternehmen aber vorübergehend verzichtet. Nicht für immer, aber für einen bestimmten Zeitraum. Diese Frist der Steuerstundungen läuft – wie nun beschlossen wurde – Ende Juni statt Ende März ab. Die Stundungen werden also drei Monate später fällig gestellt.

Woher das benötigte Geld nehmen?

Das bedeutet im Grunde so viel, als würde unsere Beispielfamilie mit Juli plötzlich nicht nur wieder Miete zahlen müssen, sondern gleichzeitig auch damit beginnen, die aufgebauten Mietschulden abzustottern. Die Situation wird vor allem deshalb problematisch, weil beide Eltern nach wie vor auf Kurzarbeit sind, also nicht mehr Geld verdienen als in den vergangenen Monaten. Stellt sich die nicht sonderlich komplexe Frage: Woher soll das Geld kommen?

Steuerstundungen
Alfred Heiter, Finanzexperte bei der Industriellenvereinigung, weiß, was ein Ende der Steuerstundungen für Unternehmen wirklich bedeuten würde.Foto: Industriellenvereinigung

Tatsächlich wird das Ende der Steuerstundungen viele heimische Unternehmer und Unternehmerinnen vor veritable Herausforderungen stellen, weiß Alfred Heiter, Finanzexperte bei der Industriellenvereinigung. „Die große Frage ist: Wie zahlt man jetzt etwas zurück, was man vorher nicht bezahlen konnte?“ Das würde nämlich bedingen, dass der Geschäftsgang nicht nur wieder an den Stand vor Corona anschließen, sondern sich sogar verbessert haben müsste. Doch das trifft in der aktuellen Situation nur auf die wenigsten von der Pandemie betroffenen Betriebe zu. Sonst müsste man schließlich die Kurzarbeit nicht verlängern.

Ratenzahlung: Lösung oder nicht?

Dass dies eine heikle Sache werden könnte, ist freilich auch im Finanzministerium kein Geheimnis. Heiter: „Um die Belastung der Unternehmen zu reduzieren, hat man deshalb das bestehende Ratenzahlungsmodell adaptiert.“

Aber was heißt das im Klartext? Im ersten Schritt wurde die Gesamtdauer für diese Ratenzahlungen von einem Jahr auf drei Jahre angehoben und der Zinssatz der Raten um mehr als die Hälfte auf 1,38 Prozent gesenkt. Zudem wurde diese längere Zeitspanne in zwei Phasen aufgeteilt: Die erste Phase kann man über 15 Monate beantragen. Bis dahin muss der Betrieb 40 Prozent der offenen Schulden begleichen, um die zweite Phase beantragen zu können. In dieser hat man dann 21 Monate Zeit, um die restlichen 60 Prozent der gestundeten Beträge zu berappen.

Im vergangenen Jahr wurden nicht nur durch die staatlichen Hilfen Insolvenzen abgewendet, sondern auch, weil die Voraussetzungen für Insolvenzeröffnungen runtergeschraubt wurden.

Alfred Heiter, Finanzexperte der Industriellenvereinigung

„Abgesehen davon hat man die Voraussetzungen, die sonst nötig waren, um eine Ratenzahlung überhaupt genehmigt zu bekommen, erleichtert“, betont Heiter. Zumindest für die erste Phase der Ratenzahlung muss man nun keine Hürden mehr nehmen, um sie bewilligt zu bekommen. Die zweite Phase wird dann aber aller Voraussicht nach unter strengeren Kriterien beleuchtet werden, so Heiter. 

Angst vor dem Dominoeffekt

Ob diese Rückzahlungsmodalitäten aber ausreichen werden, um Unternehmen vor dem Aus zu bewahren, sieht der Fachmann kritisch: „Es wird wohl nahezu jeder, der bis jetzt die Steuerstundungen in Anspruch genommen hat, auch die Ratenzahlung beantragen; davon muss man ausgehen. Die große Frage ist, ob bis zum Einsetzen der zweiten Phase auch wirklich der ersehnte Aufschwung, der Bedingung für den notwendigen Aufholeffekt ist, einsetzt.“

Falls dies nicht in notwendiger Dimension geschieht, besteht vor allem die Gefahr eines Dominoeffekts. Womöglich könnte ein großer Betrieb, der den Turnaround nicht schafft, eine regelrechte Kettenreaktion nach sich ziehen, gibt Heiter zu bedenken. „Dann sind auch die Lieferanten, die Gläubiger davon betroffen. Da kann es dann viele geben, die in der Folge in die Insolvenz schlittern.“

Steuerstundungen
Setzt der erhoffte Aufschwung nicht ein, könnten durch eine Art Dominoeffekt viele Unternehmen in die Insolvenz schlittern.Foto: Adobe Stock | Alphaspirit

Dieses Szenario lässt sich aktuell aber schwer abschätzen, wie Alfred Heiter betont. Schließlich seien die aktuellen Zahlen eigentlich recht gut: „Im vergangenen Jahr wurden nicht nur durch die staatlichen Hilfen Insolvenzen abgewendet, sondern auch, weil die Voraussetzungen für Insolvenzeröffnungen runtergeschraubt wurden.“ Vor Corona musste man entweder zahlungsunfähig sein oder überschuldet, um Insolvenz anmelden zu müssen. Der Tatbestand der Überschuldung aber wurde ausgesetzt. Und zwar, genauso wie die Stundungen, bis Ende Juni.

Die Frage ist nur: Fällt die Insolvenzwelle groß oder klein aus?

Dieses gleichzeitige Ende zweier Fristen, die jeweils Einfluss auf die finanzielle Situation eines Betriebs haben, bereitet Heiter derzeit Sorgen: „Daher wird schon damit gerechnet, dass es im dritten Quartal 2021 wahrscheinlich zu einer mehr oder weniger großen Insolvenzwelle kommen wird.“

Daher wird schon damit gerechnet, dass es im dritten Quartal 2021 wahrscheinlich zu einer mehr oder weniger großen Insolvenzwelle kommen wird.

Alfred Heiter, Finanz-Fachmann

Aus dieser Sorge heraus keimt derzeit schon leise die Idee, dass der Staat womöglich in besonderen Härtefällen Firmen durch eine Art Mikrobeteiligung retten könnte. Ein Modell, das unter gewissen Modalitäten Sinn ergeben könnte, meint Heiter. „Da geht es dann vor allem darum, wie sehr sich der Staat in die Unternehmensführung einmischen möchte. Als Beispiel: Nach der Finanzkrise hatten wir eine ähnlich Situation bei den Banken. Da hat der Staat Kapital zur Verfügung gestellt, allerdings kein Mitspracherecht eingefordert. Etwas in dieser Art wäre vielleicht vorstellbar.“

Mikrobeteiligung als Rettung?

Bevor dies aber ernsthaft ventiliert werden wird, müssen aus Unternehmersicht erst einmal andere Baustellen geschlossen werden. Allen voran das Thema der Geschäftsführerhaftung. Wenn nämlich ein Unternehmen, das gestundete Abgaben angesammelt hat, insolvent wird, kann es passieren, dass der Geschäftsführer für diese Abgabenstundungen haftet. „Und zwar vor allem dann, wenn er im Vorfeld nicht ausreichend nachgewiesen hat, dass diese Stundungen einbringlich sein werden“, erklärt Heiter.

Da aber in der Covid-Krise diese Stundungen ohne großartige Nachweise gewährt wurden, stellt sich die Frage, wie man als Staat nun im Umkehrschluss den Geschäftsführer für etwas verantwortlich machen möchte, was man selbst nicht verlangt hat. Jedenfalls gibt es bereits Überlegungen, in mit Covid-19 in Zusammenhang stehenden Fällen diese Geschäftsführerhaftungen auszusetzen. Alfred Heiter dazu: „Es ist unbedingt notwendig, auch hier eine Lösung zu finden.“

Fazit:

Wer die Steuerstundungen nicht als Raten zurückzahlen kann, hat wohl ab Juli ein ernsthaftes Problem. Und wenn sich der Gesetzgeber nicht darauf besinnt, die Geschäftsführerhaftung im Falle einer durch Covid-19-Stundungen verursachten Insolvenz auszusetzen, wird es für viele gar richtig ungemütlich.

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