Andre Wolf

Fake-News-Jäger Andre Wolf: „Wir alle unterliegen dem Bestätigungsfehler“

Warum Männer ab 45 anfälliger für Falschmeldungen sind als Frauen, weshalb Elon Musk wieder bei null anfängt und warum bestimmte Kochsendungen mit Vorsicht zu genießen sind? Fake-News-Jäger Andre Wolf im großen Interview über die Licht- und Schattenseiten der Sozialen Medien.

Noch nie war es so leicht an Informationen zu gelangen wie heute. Internet sei Dank. Es war aber auch noch nie so schwer zu entscheiden, welche davon stimmen und welche nicht. Dabei ist es eigentlich gar nicht weiter schlimm, wenn einzelne Personen Wahrheit oder Meinungsfreiheit anders definieren als der Rest der Welt. Sobald sie dies jedoch auf Social Media kundtun, können sie damit sehr viele Menschen erreichen und im schlimmsten Fall auch manipulieren. Die Rechercheplattform Mimikama hat es sich daher zum Ziel gesetzt, Fake News zu entlarven und User:innen aufzuklären. Und Andre Wolf ist dort die Speerspitze der Fake-News-Jäger:innen. Er hilft uns dabei zu differenzieren, was denn wahr und was unwahr ist.

Dafür sei es vor allem wichtig, sich selbst zu hinterfragen, sagt er selbst. Und erklärt im Interview, warum Männer ab 45 anfälliger für Falschmeldungen sind als Frauen, weshalb Elon Musk wieder bei null anfängt und dass bestimmte Kochsendungen mit Vorsicht zu genießen sind.

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Andre Wolf hat es sich mit der Rechercheplattform Mimikama zum Ziel gesetzt, Fake News zu entlarven und User:innen aufzuklären.Foto: mimikama.org / © Barbara Wirl

Seit Donald Trump und dem US-Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2016 ist „Fake News“ allen ein Begriff. Mimikama wurde aber schon 2011 gegründet. Was gab es vor Trump zu überprüfen?

Andre Wolf: Ich würde sagen, dass diese Entwicklung schon 2014 begonnen hat. In diesem Jahr haben viele rechtspopulistische Parteien gemerkt, dass man Social Media für Manipulationen, Wahlwerbung oder generell für Parteiwerbung günstig nutzen kann. Und plötzlich ist das Internet explodiert. Davor haben wir uns mit urbanen Legenden, die im Internet verbreitet wurden, befasst oder Click-Fallen gecheckt. Alles, worauf Menschen auf Social Media hereinfallen können, angefangen von der angeblich HIV-infizierten Nadel im Kinosessel bis hin zum Spiel FarmVille, über das man sich Computerviren einfangen konnte. Und dann kamen im Frühjahr 2014, wie gesagt, die ersten politisch manipulativen Falschmeldungen über Geflüchtete auf. Hier in Österreich war es die FPÖ, die dazu über Facebook Meldungen verbreitete, die nicht ganz richtig waren und sehr manipulativ dargestellt wurden. Das Problem war, dass es zu dem Zeitpunkt noch niemanden gab, der Aufklärungsarbeit leistete.

Das heißt, Fake News wurden schon im Internet verbreitet, bevor Donald Trump den Begriff bekannt gemacht hat?

Andre Wolf: „Lügenpresse“, ein Pendant zu Fake News, ist zum Beispiel 2014 in Deutschland zum Unwort des Jahres gekürt worden. Der Begriff ist zwar schon uralt, war davor aber nicht so präsent. Wir merken also, dass 2014 einige Sachen zusammengekommen sind, die bis heute nachhaltig wirken. Plötzlich war die Hürde, manipulativ Bericht zu erstatten oder zu lügen, sehr niedrig. Und jetzt kommen wir auf Donald Trump zu sprechen. Er ist quasi ein Resultat aus dem Ganzen und hat es geschafft, auf dieser Welle mitzuschwimmen und Social Media für sich zu nutzen. So wie auch Le Pen in Frankreich, Wilders in den Niederlanden, die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich. Natürlich darf man nicht vergessen, dass diese Politiker:innen und Parteien schon davor da waren, aber Social Media hat ihnen eine neue Bühne gegeben.

„Lügenpresse“, ein Pendant zu Fake News, ist zum Beispiel 2014 in Deutschland zum Unwort des Jahres gekürt worden. Der Begriff ist zwar schon uralt, war davor aber nicht so präsent. 

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Elon Musk hat als neuer Twitter-Chef sämtliche Accounts, die gesperrt waren, wieder freigeschaltet und veranlasst, dass auf Twitter auch nicht mehr gegen Falschmeldungen über das Coronavirus vorgegangen wird. Damit will er auf Twitter eine neue Meinungsfreiheit einführen. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Andre Wolf: Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind klar definiert. Meinungsfreiheit bedeutet, dass der Staat mir ohne Repressalien gewährleistet, dass ich sagen kann, was ich meine. Sobald ich aber die Rechte anderer einschränke oder jemanden bedrohe, sind diese Grenzen überschritten. Das ist gesetzlich geregelt. Was Elon Musk hingegen durchsetzen möchte, ist eine sehr, ich sag’ mal, sozialdarwinistische Ansicht. Nach dem Motto: Ich kann sagen, was ich will. Punkt und aus. Ob es stimmt, spielt keine Rolle. Das kann jede:r selbst überprüfen. Wenn das für alle Menschen gilt und alle gleich stark sind – und das ist der wesentliche Punkt –, habe ich nichts dagegen. Doch das ist hier nicht der Fall. Wir sind nicht alle Multimilliardäre, denen egal sein kann, was passiert. Wir haben nicht alle Macht über eine Plattform und können darüber entscheiden, was gepostet wird und was nicht. Und es gibt auch Menschen, die sich, anders als Musk – von dem ich annehme, dass er ein extremer Narzisst ist –, nicht so in den Mittelpunkt stellen wollen, vielleicht auch daran zerbrechen und letztendlich ausgegrenzt werden. Dabei ist der Sinn von Social Media, eine Basis zu schaffen, die es allen Teilnehmer:innen ermöglicht, an der öffentlichen Diskussion teilzunehmen. Das ist durch die Übernahme Twitters durch Musk nicht mehr so gewährleistet, und das finde ich problematisch.

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Lange Zeit war Facebook die einzig mächtige Plattform. In den letzten Jahren aber eroberten auch andere Plattformen, wie TikTok oder Instagram vor allem jüngere Generationen.Foto: Adobe Stock | Rawpixel.com

Macht es überhaupt Sinn, Accounts von Politiker:innen oder Prominenten zu sperren?

Andre Wolf: Ich bin generell kein Freund von Sperren. Wenn aber etwas zu sehr ins Extreme abrutscht, dann müssen wir das als Gesellschaft natürlich bekämpfen. Und gerade Social Media-Accounts spielen hier eine große Rolle. Nur ein Beispiel: Herr Strache war über Facebook extrem mächtig. Als dann der Streit zwischen ihm und der FPÖ ausbrach, stellte sich die Frage, wem die Facebook-Seite gehört. Und als der Account am Ende verpuffte, verpuffte damit auch die Macht von Strache. Natürlich ist er noch da, er hat wieder neue Accounts, aber er wird nie wieder die Social Media-Macht erlangen, die er einst hatte. Das ist auch der Geschichte von Social Media und Facebook geschuldet, denn lange Zeit war Facebook die einzig mächtige Plattform. Erst 2017, 2018 kamen andere Plattformen, wie TikTok oder Instagram, hinzu, die vor allem jüngere Generationen eroberten. Auf diesen war Strache aber nicht so stark vertreten. Das zeigt, wie wichtig diese Accounts für Politiker:innen sind. Wenn sie zerstört, blockiert oder gelöscht werden, bricht etwas weg.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen auf Twitter? Ist das für ein Faktenchecker-Unternehmen nicht frustrierend? Waren wir nicht schon weiter?

Andre Wolf: Das ist ein sehr richtiger Satz. „Wir waren schon mal weiter.“ Und genau das ist das Problem mit Elon Musk. Er ist in dieser Hinsicht noch grün hinter den Ohren und fängt wieder bei null an, während Social Media bereits eine Entwicklung durchgemacht hat. Denn irgendwann haben die Plattformen eingesehen, dass sie auch eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Natürlich sind sie noch nicht dort, wo man es gerne hätte, aber man darf nicht vergessen, dass wir es hier mit privatwirtschaftlichen Unternehmen zu tun haben, die verständlicherweise Geld verdienen und Nutzer:innen an ihre Plattform binden möchten. Dafür braucht es dramatische Inhalte und leider auch Fake News-Systeme. Doch immerhin gibt es auf Facebook mittlerweile Ansprechpersonen und bestimmte Richtlinien. Auch Twitter hat sich im Lauf der Jahre entwickelt und eingesehen, dass etwa Falschmeldungen über Covid ausgeblendet oder Politiker:innen, die nachweislich lügen, verwarnt oder sogar blockiert werden müssen. Jetzt kommt aber Musk daher, wirft alle Regeln über den Haufen und fängt wieder ganz von vorne an.

Wie könnte es für ihn und Twitter weitergehen?

Andre Wolf: Auch er wird dazulernen und merken, dass z. B. irgendwelche Umfragen nicht ausreichen, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Nehmen wir seine Umfrage her, in der er darüber abstimmen ließ, ob Donald Trumps Account reaktiviert werden soll. Diese Abstimmung war im Grunde genommen von Vorhinein manipulativ, denn in erster Linie haben sie nur diejenigen gesehen, die Elon Musk folgen. Also seine Bubble. Ich habe zum Spaß zeitgleich die gleiche Umfrage mit dem gleichen Text in meiner Bubble gestartet. Während Musks Umfrage knapp für die Freischaltung Trumps ausfiel, waren in meiner Bubble mehr als 70 % der Befragten dagegen. Je nach Bubble bekommt man also unterschiedliche Ergebnisse. Es wäre richtig gewesen, wenn z. B. jede:r, sobald er oder sie Twitter öffnet, diese Umfrage eingeblendet bekommen hätte, egal, wem er oder sie folgt. Aber das sind, wie gesagt, Lernprozesse, die auch Elon Musk durchlaufen wird. Vielleicht verliert er dann die Lust an seinem Spielzeug und zieht sich freiwillig zurück. Das könnte auch passieren. 

Wer ist denn besonders anfällig für Falschmeldungen? 

Andre Wolf: Anfällig sind wir alle. Auch ich. Wir alle unterliegen dem Bestätigungsfehler. D. h. wir glauben zunächst jene Dinge, die wir sowieso erwarten.

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Laut dem Fake-News-Jäger sind wir alle anfällig für Falschmeldungen. Denn: „Wir alle unterliegen dem Bestätigungsfehler. D. h. wir glauben zunächst jene Dinge, die wir sowieso erwarten.“Foto: Adobe Stock | MclittleStock

Das heißt, selbst Sie können noch auf Falschmeldungen hereinfallen?

Andre Wolf: Natürlich, denn je mehr ich davon ausgehe, dass etwas stimmt, desto weniger überprüfe ich es. Hier ist es wichtig, sich selbst zu hinterfragen, zu verstehen, wie man tickt, wozu man tendiert. Man muss aber auch wissen, wie man Quellen bewertet. Denn bestimmte Websites arbeiten tendenziös. Damit meine ich nicht einmal Falschmeldungen, sondern Redaktionslinien, die vorgegeben sind. Wenn ich beispielsweise die FAZ lese, muss ich wissen, dass sie eher konservativ ist, während der Spiegel linksliberaler eingestuft wird. Dann kommt hinzu, dass unterschiedliche Generationen auf unterschiedlichen Plattformen aktiv sind. Auf TikTok ist es zum Beispiel schwieriger, Fakten zu überprüfen. Da kann schon ein kurzes, knackiges Video, das mir in der Regel nur einmal eingeblendet wird und dann nie wieder, Desinformation verbreiten. Bei der Generation 45 oder 50 plus sehe ich vor allem bei den Herren der Schöpfung ein Problem, weil diese meist ungern zugeben, etwas nicht zu wissen oder einen Fehler gemacht zu haben. Deshalb neigen sie dazu, eher an Falschmeldungen festzuhalten als Frauen. Zumindest ist das die Erfahrung, die ich gemacht habe. 

In den letzten Jahren war auch zu beobachten, dass extreme Gruppierungen soziale Netzwerke nutzen, um ihre Weltansicht zu verbreiten. Auch dort, wo man es vielleicht nicht erwarten würde.

Andre Wolf: Man kann selbst über Kochshows radikale Inhalte vermitteln, indem man etwa während des Kochens nebenbei einwirft, wie teuer die Eier und das Mehl wegen des Kriegs in der Ukraine geworden sind und dass die Ukraine sich nur ergeben müsse, und alle Probleme seien gelöst. So streut man durch die Hintertür prorussische Propaganda. Auch unter den sogenannten „Mami-Influencern“ – das sind Kanäle, die speziell an junge Mütter gerichtet sind – gibt es solche, die extremistische Inhalte verbreiten. Wobei es immer schon extreme Gruppen gegeben hat, sei es im Bereich des Glaubens oder der Politik, die bewusst versucht haben, Menschen zu rekrutieren. Früher sprach man dafür vielleicht Jugendliche im Jugendzentrum an, heute läuft es über das Internet. Und das ist der große Unterschied, weil es dadurch viel einfacher geworden ist, zu werben und Menschen in eine Nischengruppe zu ziehen.

Heute haben schon Kinder Zugriff auf soziale Netzwerke und können daher sehr früh mit Desinformation und Hasskommentaren konfrontiert werden. Wie können wir sie schützen?

Andre Wolf: Das muss auf verschiedenen Ebenen ablaufen. Vor allem sollte man aber auch bei den Eltern ansetzen, denn das Mindestalter, um sich auf einer Plattform anzumelden, liegt meist bei 13 Jahren. Nun ist es aber so, dass das vielen Eltern egal ist und daher auch schon Jüngere zum Beispiel WhatsApp nutzen. Wichtig ist, den Kindern nicht nur zu vermitteln, wie man sich vor Falschmeldungen schützt, sondern auch zu erklären, was Social Media-Plattformen überhaupt ist. Warum gibt es sie? Wer steckt dahinter? Weshalb funktionieren sie so gut? In erster Linie geht es darum Geld zu verdienen, und deshalb bekommt man Werbung eingeblendet. Sie haben auch kein Interesse daran, alle problematischen Inhalte zu verbergen, denn dann wäre die Plattform langweilig. Auch solche Dinge muss man den Kindern verständlich machen, damit sie lernen, wie man auf sozialen Medien aktiv sein kann, ohne bedrängt oder manipuliert zu werden.

Was die Kinder am meisten abschreckt, ist das Modul der Archivierung. Wir sagen immer, dass das Internet nichts vergisst, aber viele wissen nicht, was wirklich damit gemeint ist. Deshalb mache ich an Schulen Archivierungsübungen und zeige anhand meines Accounts, was alles gespeichert wird.

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Sie halten auch Workshops an Schulen ab. Was vermitteln Sie den Kindern dort?

Andre Wolf: Was die Kinder am meisten abschreckt, ist das Modul der Archivierung. Wir sagen immer, dass das Internet nichts vergisst, aber viele wissen nicht, was wirklich damit gemeint ist. Deshalb mache ich an Schulen Archivierungsübungen und zeige anhand meines Accounts, was alles gespeichert wird. Selbst wenn man das Geschriebene wieder löscht, der Archivlink ist für immer da, egal, was passiert. Solche Mechanismen versuche ich den Kindern zu erklären. Ich will ihnen nicht sagen, was richtig oder falsch ist, darum geht es mir nicht. Vielmehr möchte ich Menschen in ihrem politischen Willensbildungsprozess unterstützen und zu starken Teilnehmenden innerhalb unserer Gesellschaft machen. Das ist das Ziel.

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